Die Luxus-Schleuser

Westpol 05.05.2024 29:01 Min. UT DGS Verfügbar bis 05.05.2029 WDR Von Henrik Hübschen, Timucin Tim Köksalan, Nicolas Vordonarakis, Nadja Kerschkewicz

Luxus-Schleuser: Hauptbeschuldigte pflegten Kontakt zur Politik

Stand: 05.05.2024, 16:00 Uhr

Nach WDR-Recherchen bauten zwei Rechtsanwälte ein politisches Netzwerk in NRW-Kommunen auf, während sie illegal Aufenthaltserlaubnisse für reiche Ausländer beschafft haben sollen.

Von Henrik HübschenHenrik HübschenNicolas VordonarakisNicolas Vordonarakis und Tim Köksalan, Nadja Kerschkewicz

Als sich der Rechtsanwalt Claus Brockhaus am 5. Juli 2020 an die Teilnehmer eines exklusiven Online-Seminars für reiche Ausländer wendet, hat er wenig Zeit. "Unser Ziel ist es, Ihnen durch den Einwanderungsdschungel zu helfen und Ihnen allen zu helfen, nach Deutschland zu kommen", verspricht der Frechener Arbeitsrechtler, der nach Ansicht der Ermittler einer der beiden Köpfe der Schleuserbande gewesen sein soll. Brockhaus verweist einleitend noch kurz auf "sein großes Netzwerk", dann verabschiedet er sich: Details werde seine Mitarbeiterin vorstellen, da er selbst "unglücklicherweise zeitgleich in einem Termin mit einem Landrat" sei, "um über die nächsten Investitionsmöglichkeiten für Sie als potentielle neue Kunden" zu sprechen.

Die kurze Videosequenz, die bis heute auf YouTube zu finden ist, offenbart viel darüber, wie Claus Brockhaus aus seiner Kanzlei die Fäden in einem internationalen Schleuserring gesponnen haben könnte. Am 17. April durchsuchten die Bundespolizei und Ermittler der Zentral- und Anlaufstelle für die Verfolgung organisierter Straftaten (ZeOS) NRW die Räume in einem unscheinbaren Bürogebäude in einem Frechener Gewerbegebiet und ein im gleichen Haus residierendes Immobilienunternehmen. Brockhaus, weitere Mitarbeiter seiner Kanzlei und auch der Chef der Immobilienfirma, ein Chinese, werden festgenommen.

Fahndung nach zweitem hauptverdächtigen Rechtsanwalt bisher erfolglos

Den Haftbefehl gegen den mutmaßlichen zweiten Kopf der Bande, Johannes Dähnert, Rechtsanwalt aus einer großen Wirtschaftskanzlei am Hohenzollernring in Köln, können die Ermittler bisher nicht vollstrecken. Dähnert war am Tag der Razzia nicht in Deutschland. Nach WDR-Recherchen hält er sich aktuell in Südostasien auf. Dähnert und Brockhaus sind seit der gemeinsamen Zeit in einer katholischen Studentenverbindung befreundet. Bis Brockhaus sich 2018 selbständig gemacht hat, war Dähnert für mehrere Jahre dessen Chef.

Die Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Düsseldorf zur Schleuserkriminalität

Pressekonferenz zur Schleuserrazzia

Brockhaus und Dähnert sollen gemeinsam eine insgesamt 38-köpfige Bande angeführt haben, die Sonderregelungen für ausländische Fachkräfte ausgenutzt haben soll, um mindestens 147 wohlhabende Ausländer nach Deutschland zu schleusen. Inklusive später nachgeholter Familienmitglieder könnten dadurch laut Ermittlern 350 zumeist chinesische Staatsangehörige illegal nach Deutschland gelangt sein. Die Geschleusten sollen mit der Aussicht auf eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis geködert worden sein und insgesamt neun Millionen Euro an Brockhaus und Co bezahlt haben.

Per Generalvollmacht zum All-Inclusive-Paket für reiche Chinesen?

Im Gegenzug soll das kriminelle Netzwerk seinen reichen Kunden eine Art All-Inclusive-Paket geschnürt haben: Arbeitsverträge bei extra gegründeten Scheinfirmen, fingierte Lohnzahlungen und Scheinwohnsitze als Voraussetzung für die Einreise nach Deutschland und die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, vor allem durch Ausländerbehörden in NRW. Um als rechtliche und geschäftliche Vertreter der Einwanderungswilligen auftreten und agieren zu können,  sollen sich Dähnert und Brockhaus Generalvollmachten ausstellen lassen haben und auch Bankkonten für ihre Klienten besorgt haben.

Eine deutsche und eine chinesische Fahne wehen vor einem Bürogebäude

Flaggen vor dem Sitz von Brockhaus und Kollegen in Frechen

Auf konkrete WDR-Anfragen zu den Vorwürfen reagieren beide nicht. In Brockhaus Kanzlei in Frechen sind die Jalousien runtergelassen, das Firmenschild ist notdürftig mit schwarzem Klebeband abgedeckt. Vor dem Gebäude wehen schwach eine deutsche und eine chinesische Fahne im Wind. Brockhaus Verteidiger lässt mitteilen, dass aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens aktuell keine Presseanfragen beantwortet werden können.

Dähnerts bisherige Kanzlei in Köln bestätigt die Ermittlungen, betont jedoch, dass sich diese gegen ihn als Person und nicht gegen das Unternehmen richteten. Dähnert habe seine Funktionen und Tätigkeiten im Unternehmen niedergelegt. Der Sachverhalt werde intern untersucht.

Brisant: Ex-CDU-Landrat beschuldigt, Bestechungsverdacht gegen SPD-Politiker

Zu den Beschuldigten gehören auch zwei Politiker: Werner Stump war von 1999 bis 2013 für die CDU Landrat im Rhein-Erft-Kreis und betreibt dort seit Jahren ein Hotel, dass bei der Razzia ebenfalls durchsucht wurde. Nach WDR-Informationen hat Stump in seinem Hotel nicht nur eine große Firmenfeier für Brockhaus Kanzlei ausgerichtet, sondern sich regelmäßig mit dem mutmaßlichen Schleuseranwalt getroffen und Immobiliengeschäfte mit diesem gemacht. Stumps Anwalt bestreitet auf WDR-Anfrage, dass sein Mandant an Verstößen gegen das Aufenthaltsbestimmungsgesetzt beteiligt gewesen ist. Stump habe alles Erforderliche veranlasst, um in Kooperation mit den Ermittlungsbehörden eine Aufklärung des Sachverhaltes zu ermöglichen.

Eine gründliche Untersuchung und enge Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden verspricht auch der Kreis Düren. Hier soll Jens Bröker, ehemaliger SPD-Landratskandidat und heute Referatsleiter für Wandel und Entwicklung beim Kreis Düren eine Schlüsselrolle gespielt haben: In der dortigen Ausländerbehörde landeten zuletzt die Anträge des mutmaßlichen Schleusernetzwerks für wohlhabende Chinesen auf dem Tisch. Und Bröker soll gegen ein sattes Bestechungsgeld seinen Einfluss im Kreishaus geltend gemacht haben und dafür gesorgt haben, dass bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse alles glatt ging.

300.000 Euro in bar soll Bröker dafür laut Staatsanwaltschaft erhalten haben. Bröker, der seit 2012 auch Geschäftsführer der für den Strukturwandel in der Braunkohleregion zuständigen indeland GmbH war, sitzt ebenfalls in Untersuchungshaft. Sein Verteidiger reagiert auf eine WDR-Anfrage nicht.

Kreis verspricht Aufklärung - Bürgermeister befürchten politischen Flurschaden

Bürgermeister aus der Region und andere politische Wegbegleiter geben sich am Telefon und in persönlichen Gesprächen völlig überrascht von den Vorwürfen gegen Jens Bröker. Sie hoffen, dass der Fall über Bröker hinaus nicht noch weitere politische Kreise zieht. Als Geschäftsführer der Indeland GmbH wurde er abberufen, auch der Kreis hat ihn freigestellt.

Sein Chef, Landrat Wolfgang Spelthahn von der CDU, verspricht im WDR-Interview, alle von der Ausländerbehörde in den letzten Jahren erteilten Aufenthaltsgenehmigungen für Menschen aus China auf den Prüfstand zu stellen: "Vertrauen schenken ist jetzt erst einmal konterkariert durch berechtigtes Misstrauen. Das heißt wir haben alle Verfahren erst einmal gestoppt und werden jetzt  auch mindestens stichprobenartig agieren. Das heißt überprüfen: Gibt es den Wohnsitz, ist da jemand konkret. Und auch noch mal Arbeitgeber verifizieren."

Schon 2014 erste Kontakte der Hauptbeschuldigten nach Düren 

Dabei hätte es durchaus auch früher Anlass gegeben, stutzig zu werden. Im Fokus steht in Düren jetzt unter anderem eine Neubausiedlung, die von der Schleuserbande als Scheinwohnsitz für Chinesen genutzt worden sein soll. Menschen, die mit dem Neubauprojekt vertraut sind, hatten dort schon früh ungewöhnliche Aktivitäten wahrgenommen. 2014, als es die Häuser nur auf dem Papier gab, sollen überraschend Johannes Dähnert und Claus Brockhaus auf den Plan getreten sein und mit Generalvollmacht für zwanzig Chinesen Häuser gekauft haben. Anwohner berichten uns, dass in viele der inzwischen seit Jahren fertigen Häuser aber nie jemand eingezogen ist, obwohl bis heute oft mehrere chinesische Namen an einem einzigen Briefkasten stehen.

Auch Landrat Wolfgang Spelthahn dürfte in den Tagen seit der Razzia dämmern, wie geschickt die mutmaßlichen Schleuser offenbar die Sehnsucht nach wirtschaftlicher Dynamik und etwas internationalem Glanz in seinem Kreis befeuert und ausgenutzt haben. Und wie gezielt sie auch seine Nähe gesucht haben. Symptomatisch ist dafür ein Ereignis aus dem Dezember 2018. Unter der Überschrift  "Chinesischer Filmstar zieht in den Kreis Düren" verkündet der Kreis stolz "prominenten Zuwachs".

Rechtsanwalt Claus Brockhaus, Referatsleiter Jens Bröker und Landrat Wolfgang Spelthahn mit einer chinesischen Schauspielerin beim Eintrag ins Goldene Buch des Kreis Düren

2018: Brockhaus, Bröker und Landrat Spelthahn mit einer chinesischen Schauspielerin beim Eintrag ins Goldene Buch

Die damals 35jährige Schauspielerin aus China ist zwar bis heute höchstens Kennern der chinesischen Filmszene ein Begriff, doch dem Landrat ist der Zuzug nicht nur ein Eintrag ins Goldene Buch sondern auch ein gemeinsames Foto wert. Neben ihm und der Schauspielerin lächeln die inzwischen verhafteten mutmaßlichen Komplizen Jens Bröker und Claus Brockhaus Seit an Seit in die Kamera. Spelthahn sagt heute, Bröker hätte diesen Termin organisiert: "Da hatte sich diese Kanzlei vorstellig gemacht, dass sie eine prominente Klientin hat, die einen Erstwohnsitz suchte. Und wir sind gebeten worden, sie besonders gastfreundlich zu begrüßen: Das haben wir gemacht. So wie für alle anderen auch, auch wenn die weniger prominent sind, das haben wir gemacht."

Hauptbeschuldigter war Trikotsponsor beim Fußballverein des Landrats

Wolfgang Spelthahn ist übrigens nicht nur Landrat in Düren, sondern auch stolzer Vorsitzender des örtlichen Fußballvereins: Unter seinem Vorsitz hat es der 1. FC Düren bis in die vierthöchste deutsche Spielklasse geschafft. Und auch diese Leidenschaft des Landrats versucht Claus Brockhaus für sich zu nutzen. Als der 1. FC Düren 2020 durch ein Pokalspiel gegen Bayern München bundesweit bekannt wird, sind, so erinnert sich Spelthahn heute, auch Bröker und Brockhaus im Stadion. Dabei soll sich Brockhaus als Sponsor ins Spiel gebracht haben. Zwei Jahre später, nachdem der 1. FC Düren in die Regionalliga West aufgestiegen ist, wird der Frechener Anwalt mit einer seiner Firmen, der "D&B Global Recruitment", tatsächlich Trikotsponsor.  

Im Februar 2023 tritt Brockhaus dann auch als offizieller Geschäftspartner im Kreishaus in Erscheinung. Im Auftrag von Jens Brökers Referat für Wandel und Entwicklung verfasst seine Kanzlei einen "Leitfaden zur Gewinnung von Fachkräften aus Drittstaaten" und tritt als Experte zum Thema auf der ersten Transformationskonferenz im Kreis Düren auf. Während der anderen Vorträge sitzt Brockhaus mit Spelthahn und Bröker in der ersten Reihe. Ein gutes Jahr später sitzen die beiden Männer, denen Landrat Spelthahn beim Weg in die Zukunft sein Vertrauen geschenkt hat, weniger komfortabel: in Untersuchungshaft.

Über dieses Thema berichtet der WDR auch im WDR Fernsehen, unter anderem in Westpol, Sonntag, 05.05.2024, 19:30 Uhr.